Mikrobiom: Die versteckte Welt in uns und ihre Bedeutung bei der Spondyloarthritis

Beim Morbus Bechterew führen viele Wege zum Darm. Möglicherweise ist bei Betroffenen die gesunde Bakterienpopulation aus dem Gleichgewicht geraten. Doch das Mikrobiom lässt sich durch einen gesunden Lebensstil und die Ernährung beeinflussen.

6. Februar 2019
Mensch auf Toilette

Prof. Dr. Mark Asquith, Oregon Health and Science Universität, Portland, USA

Die ankylosierende Spondylitis (Morbus Bechterew) ist weiterhin eine rätselhafte Krankheit, die Forschergruppen wie die unsere zu entziffern versuchen. Die Behandlung dieser Krankheit kann extrem teuer sein, kann unerwünschte Nebenwirkungen haben und bei manchen Patienten kaum wirksam sein. Es ist deshalb dringend notwendig, die Ursachen dieser Krankheit genauer zu erforschen und neue Behandlungsstrategien zu finden, um diese beeinträchtigende Krankheit besser behandeln oder gar heilen zu können.

Unsere Untersuchungen konzentrieren sich auf ein neues Gebiet der Spondyloarthritis-Forschung: auf das Mikrobiom. Als Mikrobiom werden die Billionen Bakterien bezeichnet, die normalerweise den menschlichen Körper besiedeln und hauptsächlich im Darm wohnen. Es gibt tatsächlich mindestens eben­so viele Mikroben-Zellen in unserem Körper wie menschliche Zellen. Wir sind also sozu­sagen nur zu höchstens 50% menschlich!

Neue Bedeutung des Darms

Dieser bisher zu wenig erforschte Teil unseres Körpers hat eine bemerkenswerte Bedeutung für eine grosse Zahl entzündlicher Krankheiten wie entzündlich-rheumatische Krankheiten, entzündliche Darmkrankheiten, multiple Sklerose, Herz-Kreislauf-Krankhei­ten, einige Krebs-Erkrankungen und sogar psychische Krankheiten wie Autismus und Depressionen.

Dass heute das Mikrobiom mit so vielen Krankheiten in Verbindung gebracht wird, beruht teilweise auf einem veränderten Ver­ständnis unseres Immunsystems, dem wichtigsten Teil unserer Fähigkeit, Infektionen zu bekämpfen und gefährliche Zellen unseres Körpers wie Krebszellen zu zerstören. Das Immunsystem ist es auch, das wir zu stärken versuchen, wenn wir uns oder unsere Lieb­sten impfen lassen. Wenn man in Lehrbücher schaut, die nur fünf Jahre alt sind, galten als wichtigste Teile des Immunsystems Organe wie die Thymusdrüse, die Milz, Lymphknoten oder das Knochenmark. Obwohl diese Organe zweifellos weiterhin Schlüsselkomponenten unseres Immunsystems darstellen, gilt heute als wichtigster Teil unseres Immunsystems unser Darm.

Immunzellen auf Wanderschaft

Dabei erhebt sich die Frage: Warum bringen wir unseren Medizinstudenten inzwischen bei, dass der Darm so ein wichtiger Teil unseres Immunsystems ist?

Erstens ist der Darm die Heimat für mehr weisse Blutkörperchen (den hauptsächlichen Immunzellen unseres Körpers) als jedes andere Gewebe unseres Körpers.

Zweitens ist unser Darm mehr fremdem Material ausgesetzt als jede andere Stelle des Körpers, z. B. den allgegenwärtigen Bakterien in unserer Nahrung, auf unseren Haus­tieren oder im Schmutz. Dazu gehört auch die Nahrung selbst, die vom Immunsystem als «fremd» erkannt werden kann. Unser enormes im Darm beheimatetes Immunsystem sieht sich also dauernd der schwierigen Aufgabe gegenüber, entweder eine Infektion abzuwehren oder sich abzuschalten, um nicht eine Entzündungsreaktion gegenüber harmlosen Bakterien oder der täglichen Nahrung auszulösen.

Drittens erkennen wir heute, dass die Immunzellen im Darm sich verhalten wie Lachse, Gänse oder Büffel: Sie sind immer auf Wanderschaft. Das bedeutet, dass im Darm entstandene oder aktivierte Immunzellen in andere Gewebe unseres Körpers aus­wandern können. Zu den Wanderzielen können auch die Wirbelsäule oder die Gelenke von Spondyloarthritis-Patienten gehören. Es ist deshalb möglich, dass sie zur Entzündung an diesen Stellen beitragen.

«Gute» und «böse» Bakterien

Es ist wichtig zu betonen, dass die überwiegende Mehrheit der Mikroben, die normalerweise unseren Körper besiedeln, harm­los sind und sogar eine für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden wichtige Rolle spielen. Dazu gehört die Verdauung vieler Nahrungsbestandteile, die Bereitstellung von Vitaminen und ihr Beitrag zu einer normalen Entwicklung des Immunsystems.

Möglicherweise ist jedoch bei Morbus-Bechterew-Patienten diese gesunde Bakterienpopulation aus dem Gleichgewicht geraten, mit einem Verlust nützlicher oder harmloser Bakterien und einer Zunahme krankmachender Bakterien. Dieser gestörte Zustand des Mikrobioms wird in der Fachsprache als «Dysbiose» bezeichnet. Darüber hin­aus ist bekannt, dass bei der Mehrheit der Morbus-Bechterew-Patienten irgendeine Form von Darmentzündung gefunden wird.

Beeinflussung ist möglich

Beim Morbus Bechterew führen also viele Wege zum Darm. Leider wissen wir nicht, welche Bakterienarten für unsere Gesundheit nützlich sind und welche Bakterienarten zu den Übeltätern gehören, die die Entzündungsprozesse auslösen, die zum Morbus Bechterew führen. Auch verstehen wir nicht, warum gerade bei Morbus-Bechterew-Patienten eine Dysbiose entsteht. All diese Fragen sind neu, und wir gehen ihnen in unserem Institut nach. Eine besondere Chance besteht darin, dass sich unser Mikrobiom – im Gegensatz zu unseren eigenen Zellen – beeinflussen lässt durch Lebensstil-Änderungen (z.B. Änderungen in der Ernährung) und die Zufuhr von Präbiotika und Probiotika. Vielleicht können wir auf diese Weise das aus dem Gleichgewicht geratene Mikrobiom bei Morbus-Bechterew-Patienten wieder ins Gleichgewicht bringen und die durch das Immunsystem ausgelösten Entzündungspro­zesse herunterfahren.

Deutsche Übersetzung eines in «Spondylitis Plus» (Mitgliederzeitschrift der Spondylitis-Vereinigung in den USA) Heft Winter 2017/Frühjahr 2018 erschienen Artikels. Quelle: «Morbus-Bechterew-Journal» Nr. 155/Dezember 2018