Visuelle Einschränkungen bei Bechterew-Betroffenen

An welches Organ denken Sie zuerst, wenn Sie an das Sehen denken? Natürlich – die Augen. Und denken Sie beim Morbus Bechterew im ersten Moment an eine Einschränkung des Sehsinns? Wohl eher nicht. Dies wird der Realität aber nicht ganz gerecht. In seiner letzten grossen Arbeit nahm sich SVMB-Gründer Dr. Heinz Baumberger (1931−2020) der Einschränkungen der visuellen Wahrnehmung bei Bechterew-Betroffenen an.

21. Juni 2021
Symbolbild Sehen

Entzündungen und Einschränkungen kennen Bechterew-Betroffene leider allzu gut. In der Regel sind davon vor allem die Wirbelsäule oder periphere Gelenke betroffen. Doch auch Entzündungen der Augen, sogenannte Uveitiden, sind eine häufige Begleiterkrankung des Bechterews und können den Sehsinn vorübergehend einschränken. Und auch die typischen Rückenschmerzen und die Versteifung der Wirbelsäule haben einen Einfluss darauf, wie Bechterew-Betroffene ihre Umgebung visuell wahrnehmen können – oder eben nicht.

Mit dieser Frage hat sich SVMB-Gründer Heinz Baumberger (1931−2020) noch im Alter von 87 Jahren vertieft auseinandergesetzt. Schliesslich lebte er jahrzehntelang mit dem Bechterew und kannte die Einschränkungen aufgrund einer versteiften Wirbelsäule. Die Hauptaussage seiner Arbeit ist, dass Bechterew-Betroffene mit einer versteiften Wirbelsäule weniger wahrnehmen können als solche ohne Versteifung oder Gesunde. Doch um diese Einschränkung zu benennen, gibt es, so die Feststellung von Heinz Baumberger, keine Begriffe. Er führte deshalb den neuen Begriff des «Panorama-felds» ein. Dabei lehnte er sich an den Begriff des Gesichtsfelds aus der Augenheilkunde an, das den Bereich beschreibt, den ein Mensch ohne Bewegen der Augen oder des Kopfs sehen kann. Das Panoramafeld ist folgerichtig der Bereich, den ein Mensch sehen kann, wenn er zusätzlich zu den Augen den Kopf und weitere Körperteile in alle Richtungen bewegen kann.

«Wir sind interessiert an der Umwelt»

Heinz Baumberger war überzeugt, dass man den Dingen einen Namen geben musste, um sie zu erforschen und, so die Hoffnung, irgendwann Lösungen für die Probleme der Betroffenen zu finden. Laut Heinz Baumberger ist die Ausdehnung des Gesichts- auf das Panoramafeld von grosser Bedeutung für die Lebensqualität der Betroffenen. Denn die Menschen seien grundsätzlich interessiert daran, zu wissen, was links und rechts von ihnen, am Himmel und auf dem Boden geschieht. Auch aus Gründen der Sicherheit sei der Mensch darauf angewiesen, Gefahren zu erkennen, die sich ausserhalb des Gesichtsfelds befänden. Letzteres ist jedoch beim Morbus Bechterew immer weniger problematisch, da erstens die schweren Krankheitsverläufe seltener werden und es zweitens Hilfsmittel und Assistenzsysteme gibt, die eine sichere Teilnahme beispielsweise am Strassenverkehr ermöglichen. So ist denn auch die Fahrtauglichkeit von Bechterew-Betroffenen nur selten eingeschränkt.

Lebensnahe Beispiele

Heinz Baumberger machte in seiner Arbeit sehr anschauliche Alltagsbeispiele, weshalb die Einschränkungen des Panoramafelds für Betroffene ein Problem sein können. Er erwähnt die schwierige Situation einer Autofahrt, während der sich der Beifahrer im Gespräch dem Fahrer nicht zuwenden kann, oder das Fehlen der Möglichkeit, den Sternenhimmel oder ein Flugzeug am Himmel zu beobachten. Es ist den Beispielen anzumerken, dass sie direkt aus dem Leben gegriffen sind und Situationen beschreiben, in denen Betroffene auf die vielleicht schönsten Dinge – ein gutes Gespräch, eine faszinierende Naturbeobachtung – verzichten müssen. So gelang es Heinz Baumberger auch in seiner letzten Arbeit über die Einschränkungen der visuellen Wahrnehmung bei Bechterew-Betroffenen, präzise Beschreibungen mit Schilderungen von Alltagsproblemen zu verknüpfen und deren Dringlichkeit für die Betroffenen dadurch noch stärker hervorzuheben.

Heinz Baumberger hat mit seiner letzten grossen Arbeit einmal mehr gezeigt, wie wichtig es für Menschen mit Morbus Bechterew ist, der Wirbelsäulenversteifung mit gezielter Bewegungstherapie so früh wie möglich vorzubeugen. Und dass es sich lohnt, trotz Einschränkungen mit offenen Augen durch die Welt zu gehen.