Was bringen Heilkräuter und Co.?

Teufelskralle oder Hagebuttenextrakt – der Markt der alternativen Heilmethoden für rheumatische Erkrankungen boomt. Doch welche Mittel halten, was die Werbung verspricht? Wo drohen Nebenwirkungen? Der sogenannte CAM-Report liefert wissenschaftlich fundierte Antworten.

19. Mai 2022

Der CAM-Report ist der lobenswerte Versuch englischer Wissenschaftler, im Auftrag der gemeinnützigen Organisation Arthritis Research UK etwas mehr Licht in die grosse Zahl komplementärer beziehungsweise «alternativer » Therapien bei den Diagnosen rheumatoide Arthritis, Arthrosen (allgemein, in den Studien meist vom Knie) und Fibromyalgie zu bringen. CAM steht dabei für «complementary alternative medicines», also komplementäre (ergänzende), «alternative» Medikamente. Sie nahmen dabei Therapien unter die Lupe, die bis November 2011 in Grossbritannien erhältlich waren.

Wissenschaftliche Aufarbeitung

Dazu haben die Forscher zunächst ausführlich die wissenschaftliche Literatur durchsucht und Studien berücksichtigt, deren Ergebnisse bis einschliesslich Mai 2011 veröffentlicht waren. Sie bewerteten daraufhin alle Therapien, zu denen wissenschaftlich hochwertige Studien in bekannten englischsprachigen medizinischen Zeitschriften vorlagen. Kriterium für die Wirksamkeit war eine Verminderung der Schmerzen (das galt für die meisten Studien), eine Verbesserung der Alltagsfähigkeiten oder eine Verbesserung der Lebensqualität. Die Forscher verzichteten darauf, Therapien zu bewerten, für die keine sogenannten randomisierten klinischen Studien vorlagen. Das bedeutet nicht, dass diese Therapiemethoden nicht wirksam sind, sondern lediglich, dass keine wissenschaftlich fundierte Aussage dazu möglich ist.

Ein Gremium aus Spezialisten für evidenzbasierte Medizin, Rheumatologen, Fachleuten für alternative Heilmethoden sowie Patientenvertretern sichtete die Studien, bewertete die Ergebnisse und beurteilte die Wirksamkeit der betrachteten Methoden auf einer Skala von 1 bis 5. Die Bewertung 1 bis 2 bedeutet, dass keine wesentliche Wirksamkeit nachzuweisen war – oder aber nur eine einzige randomisierte klinische Studie vorlag, bei der die Wirkung nicht sicher belegt werden konnte. Die Bewertungen 3 bis 5 zeigen an, dass die untersuchte Substanz wahrscheinlich wirkt. Je mehr randomisierte Studien mit gleichem Ergebnis vorlagen und je mehr Patienten beobachtet worden waren, umso höher erfolgte die Einstufung auf dieser Skala.

Nebenwirkungen im Blick

Das Expertengremium betrachtete ausserdem das Risiko für Nebenwirkungen. Die Einstufung erfolgte anhand einer Ampel:

Rot bedeutet ein hohes Risiko für schwere Nebenwirkungen. Diese Einstufung erhält das chinesische Kräutermittel Duhuo Jisheng Wan, da eine der Zutaten als krebserregend eingestuft wurde.

Gelb steht für ein etwas erhöhtes Risiko (Hinweis auf einzelne Risiken, die gefährlich sein könnten).

Die Farbe Grün symbolisiert ein niedriges Risiko: Es sind keine schwerwiegenden Nebenwirkungen zu erwarten, doch besteht durchaus die Möglichkeit, dass jemand die Substanz nicht verträgt.

Im CAM-Report finden sich detaillierte Beschreibungen und Fakten zu den Therapien. Er ist für Patienten geschrieben, damit sie sich im Dschungel der angebotenen Möglichkeiten zurechtfinden können, leider nur in englischer Sprache. Darin finden sich auch Hinweise zu grundsätzlichen Problemen bei der Bewertung von komplementärmedizinischen Vorgehensweisen. Dazu gehören etwa das fehlende Wissen über Wirkmechanismen (in Theorie und Praxis), die Wirkung im Vergleich zu konventionellen Therapien/ Medikamenten, die Konstanz der Zubereitung einzelner Substanzen (insbesondere bei pflanzlichen Produkten, die nicht immer die gleiche Zusammensetzung haben), die wirksamste Dosierung sowie die Frage nach möglichen Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten oder Stoffen und das Nebenwirkungsrisiko. Für viele Therapien gilt, dass die Kenntnisse in diesen Bereichen sehr lückenhaft sind. Grundsätzlich ist das Nebenwirkungsrisiko zwar niedrig. Doch da es nicht null ist, sollten Arzt und Apotheker in jedem Fall wissen, was jeder Patient regelmässig zu sich nimmt, um im Nebenwirkungsfall reagieren zu können.

Die Gelb-Bewertung bei der Sicherheit von Teufelskralle kommt durch Einzelberichte zustande, wonach eine vermehrte Blutungsneigung und Herzrhythmusstörungen auftraten. Bei einigen Substanzen traten Nebenwirkungen auf den Magen und den Darm auf, auch wenn die Substanz eine «grüne» Bewertung erhielt. Wer dauerhaft ein alternativmedizinisches Medikament einnimmt, sollte daher regelmässig seine Blutwerte kontrollieren lassen, um seltene Nebenwirkungen an Leber, Niere oder Blutbild früh feststellen zu können.

Steter Datenzuwachs

Sicherlich sind aus heutigem Blickwinkel einige wissenschaftlich hoch qualitative Studien hinzugekommen, sodass sich die Bewertung möglicherweise geändert hat. Es ist also notwendig, eine solche Bewertung immer wieder zu aktualisieren. So sind beispielsweise für Wilfords Dreiflügelfrucht, Chondroitin, Glucosamin und für Diacerein im Jahr 2015 randomisierte klinische Studien sowie Metaanalysen hinzugekommen, die eine positive Bewertung dieser Substanzen zulassen. Das Fortschreiben der wissenschaftlichen Beurteilung sollte jedoch den Experten vorbehalten bleiben: Komplementäre oder gar alternative Therapieformen sind nur zu akzeptieren, wenn sie in entsprechenden Studien ihre Wirksamkeit gegenüber Vergleichstherapien (Placebo, Schmerzmedikamente) bewiesen haben. Arthritis Research UK überarbeitet den Report deshalb kontinuierlich und stellt die aktuellsten Bewertungen auf der Webseite zur Verfügung.

Was ist nun das Fazit für Patienten? Alle betrachteten Methoden sind nur als komplementäre Therapien zu verstehen, deren Nebenwirkungsrisiko Betroffene im Auge behalten sollten. Auf keinen Fall können sie als Alternativen zu schulmedizinischen Therapien gelten: Für keine der Substanzen liegt ein Hinweis vor, dass sie den möglichen Zerstörungsprozess an Gelenken und Organen durch die dauerhafte Entzündung aufhalten oder auch nur abschwächen kann, wie zum Beispiel Biologika der Schulmedizin es vermögen.

Alternative bei Arthrose?

Bei Arthrose oder Fibromyalgie kann man die komplementären Methoden tatsächlich als Alternative betrachten, da es für diese Erkrankungen nur bedingt wirksame medikamentöse Therapien gibt. Ein Therapieversuch lohnt sich unter Umständen – unter der Voraussetzung, dass der behandelnde Arzt darüber informiert ist. Denn wie bei jedem dauerhaft eingesetzten Medikament sind auch bei Komplementärmedizin Kontrollen der Organfunktion (Blut-/Urinuntersuchungen) in regelmässigem Abstand erforderlich.

Für eine Behandlung, die möglichst gut wirkt und zu möglichst wenigen Nebenwirkungen führt, ist die Voraussetzung, dass der Arzt alle Therapien kennt, die der Betroffene einsetzt. Grundsätzlich gibt es von meiner Seite keine tragenden Argumente, warum man nicht auch Therapien zur Schmerzlinderung ausprobieren sollte, die in der Schulmedizin seltener zum Einsatz kommen. Voraussetzung ist jedoch, dass man das Risiko etwaiger Nebenwirkungen im Auge behält. Das gilt vor allem für die Kombination mit nicht-kortisonhaltigen Rheumamedikamenten. Die Grundsätze der allgemeinen Therapie bei Gelenkerkrankungen lauten weiter: möglichst viel Bewegung ohne zu starke Belastung, Ruhepausen vorsehen, eher vegetarische Ernährung (möglichst wenig Fleisch). Sie gelten unabhängig davon, ob jemand nur «schulmedizinische» Medikamente oder auch «alternative» Methoden verwendet.

«Zum Autor»

Prof. Stefan Schewe ist ärztlicher Berater der «mobil»-Redaktion und internistischer Rheumatologe in München und Ebersberg (Deutschland).

Quelle: Deutsche Rheumaliga, rheuma-liga.de/rheuma/alltag-mit-rheuma/naturheilkunde/cam-report

Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift «vertical» Nr. 92/Mai 2022 erschienen.