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So gelingt die Kommunikation zwischen Betroffenen und Ärzten

Bechterew-Betroffene müssen sich oft jahrzehntelang mit ihrer Krankheit auseinandersetzen. Dazu gehören Arztbesuche, Therapieentscheidungen und Abklärungen rund um Medikamente. Dennoch bleibt die Kluft zwischen den Betroffenen und ihren Ärzten oftmals gross. Eine gute Kommunikation könnte sie verkleinern – und damit nicht zuletzt die Erfolgschancen der Behandlung vergrössern.

Lars Gubler • Zuletzt aktualisiert am 24. März 2022

Die Welt ist heute komplizierter als vor 20, 50 oder 100 Jahren. Der Wissenszuwachs und die Informationsflut haben exponentiell zugenommen. Und obwohl sich die Gesellschaft stark gewandelt hat, besteht zwischen Ärzten und Patienten immer noch eine Wissenslücke. Ein Teil davon ist durchaus erklärbar. Schliesslich haben Ärztinnen und Ärzte eine hochspezialisierte Ausbildung hinter sich. Wenn es sich um Fachärzte handelt, sind es nicht selten bis zu zehn Jahre. Auf der anderen Seite haben neu diagnostizierte Menschen mit Morbus Bechterew oftmals noch nie von der Krankheit und ihren Auswirkungen im Alltag gehört. Um es also vorwegzunehmen: Es braucht grosse kommunikative Leistungen, um diesen Graben zu überwinden.

Es war deshalb eines der zentralen Anliegen in den Anfangszeiten der SVMB, den Betroffenen bei den «Göttern in Weiss» mehr Gehör zu verschaffen und sowohl Patienten als auch Ärzte über das Krankheitsbild Morbus Bechterew aufzuklären. Auch sollten Informationen über das Krankheitsbild und die Therapiemöglichkeiten erstmals patientengerecht aufbereitet werden.

Dass ein Mangel an Kommunikation auch heute noch zu schwerwiegenden Problemen für Betroffene führen kann, zeigt die Tatsache, dass die Geschäftsstelle der SVMB immer wieder von Fällen erfährt, bei denen mangels Wissen und Kommunikation mit dem Patienten schwerwiegende Probleme bei der Behandlung aufgetreten sind. So zum Beispiel auch im Fall des SVMB-Mitglieds Martin Bucher aus Sachseln OW, der nach einem Velounfall wieder aus dem Spital nach Hause geschickt wurde, obwohl er eine Fraktur und einen Bluterguss an der Wirbelsäule hatte. Über den ganzen Fall von Martin Bucher, der glücklicherweise dennoch gut ausging, können Sie auf den Seiten 22 und 23 lesen.

Umfrage bei SVMB-Mitgliedern zeigt grosse Zufriedenheit

Dass die Kommunikation zwischen Betroffenen und ihren Ärzten in vielen Fällen auch gut funktioniert, zeigen nicht nur der Bericht über Thomas Keller aus Zürich auf Seite 10, sondern auch die Antworten zu diesem Thema aus der grossen Bechterew-Umfrage 2020, die im Spätsommer durchgeführt wurde.

An der Umfrage nahmen über 1500 Betroffene teil. Davon sind rund 1000 Mitglied bei der SVMB. Die Auswertung bei den Mitgliedern zeigt, dass eine grosse Mehrheit der Menschen mit Morbus Bechterew mit der Kommunikation mit der Ärztin oder dem Arzt sehr zufrieden oder zufrieden ist. Die Frage nach der Zufriedenheit mit der Kommunikation wurde in der Umfrage in mehrere Teilfragen aufgeteilt. Auf die Frage, ob die Betroffenen das Gefühl hätten, dass sich ihr Arzt Zeit für sie nehme, antworteten 92% mit «Ja» oder «Eher ja». Auch die Frage, ob sie sich mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin auf Augenhöhe fühlten, beantwortete die grosse Mehrheit der Teilnehmenden mit Ja (67%) oder «Eher ja» (26%). Und wiederum eine satte Mehrheit von 91% der Befragten fühlt sich in ihren Anliegen von der Ärztin oder vom Arzt respektiert. Noch beeindruckender ist das Resultat bei der Frage, ob die Betroffenen finden, ihre Ärztin oder ihr Arzt drücke sich verständlich aus. Hier antworteten 94% mit «Ja» oder «Eher ja». Mit Werten zwischen 91 und 94% zugunsten der Ärztinnen und Ärzte zeigt sich also, dass die Bechterew-Patienten, die Mitglied der SVMB sind, insgesamt äusserst zufrieden sind mit der Kommunikation rund um ihren Bechterew und dass sie sich in aller Regel bei ihrem Rheumatologen oder Hausarzt gut aufgehoben fühlen. Das ist erfreulich.

«Ärzte versus Internet»

In mehreren Ländern gibt es inzwischen Fernsehsendungen mit diesem Titel. Und es ist durchaus spannend, den Teams aus Ärzten und Nicht-Medizinern dabei zuzuschauen, wenn sie gegeneinander antreten und versuchen, die Diagnose von erkrankten Freiwilligen zu erraten. Dass dieses Format heute erfolgreich ausgestrahlt werden kann, kommt nicht von ungefähr. Denn wir alle haben schon unsere Erfahrungen mit «Dr. Google» gemacht. Und zweifelsohne hat das Internet die Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten verändert. Die Patienten können heute mithilfe von Informationen aus dem Netz eher mitreden, aber sind eben immer noch nicht ganz auf Augenhöhe mit den Medizinern.

Für die Ärzte bedeutet dies eine Herausforderung und einen Spagat. Während manche Ärzte das Hin und Her zwischen Fach- und Laiensprache mit Bravour schaffen, fällt es anderen äusserst schwer. Aber auch Patientinnen und Patienten, die ihr «Küchenlatein» zum Besten geben, tragen nicht immer zu einer Aufklärung der Situation bei. Ein Teil hat aber womöglich auch mit einem Berufsverständnis zu tun, das sich immer schlechter unter einen Hut bringen lässt mit Betroffenen, die im Internet selbst Unmengen an medizinischen Informationen suchen können. Gerade deshalb wäre es wichtig, dass Ärztinnen und Ärzte probieren, die Sprache ihrer Patienten zu sprechen. Kommt hinzu, dass die Gesellschaft heute vielsprachiger ist. Damit ist nicht nur gemeint, dass in der Schweiz neben Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch noch eine Vielzahl anderer Sprachen gesprochen wird. Sondern es sind auch die zahlreichen Fach- und Milieusprachen gemeint. Übersetzungen sind deshalb zunehmend nicht nur zwischen Deutsch und Französisch oder Englisch und Italienisch notwendig, sondern auch zwischen Fachsprachen und einer allgemein verständlichen Ausdrucksweise. Immer häufiger werden Informationen von Behörden und Organisationen deshalb zusätzlich in weiteren Sprachen und in «leichter Sprache» angeboten. Nicht zuletzt ist beim Thema Kommunikation auch an Menschen mit einer Hör- oder Sprecheinschränkung zu denken.

Bei Chronikern und Multimorbiden besonders wichtig

Die Kommunikation in vielen Situationen gestaltet sich heute also komplizierter als früher. Wenn ein Patient dann nicht nur von einer vorübergehenden Krankheit betroffen ist, sondern chronisch oder mehrfach erkrankt ist, ist die Kommunikation noch wichtiger. Und sie ist dann eine noch grössere Herausforderung.

Der Morbus Bechterew ist eine solche chronische Erkrankung und die Betroffenen sind oftmals von weiteren Erkrankungen oder Begleiterkrankungen betroffen. Da kommt es dann nicht nur auf die gute Kommunikation zwischen Patient und Arzt an, sondern auch auf jene zwischen den Ärzten und weiteren Fachpersonen wie beispielsweise Physiotherapeutinnen. Und auch diese Kommunikation ist nicht frei von Schwierigkeiten. Wir wissen beispielsweise, dass es immer noch mehrere Jahre dauert, bis die Diagnose Bechterew gestellt wird. Wertvolle Zeit, um die wichtige und richtige Behandlung zu beginnen. Könnte es sich dabei vielleicht auch um ein Kommunikationsproblem handeln? Natürlich liegt es auch daran, dass die Bechterew-Diagnose nicht ganz einfach zu stellen ist. Aber es ist gut vorstellbar, dass ein paar der verlorenen Behandlungsjahre bei genauerem Hinsehen direkt auf kommunikative Missverständnisse oder unterlassene Kommunikation zurückzuführen sind.

Wir alle haben schon unsere Erfahrungen mit «Dr. Google» gemacht. Könnte die Diagnoseverzögerung auch ein Kommunikationsproblem sein?


Abhilfe könnte auch hier die Digitalisierung schaffen. Wenn Patienten beispielsweise frühere Befunde direkt und unverändert an Ärzte und weitere Behandler weitergeben können, kann Missverständnissen vorgebeugt und das Labyrinth zur richtigen Diagnose schneller durchdrungen werden. Nun könnte man denken, Digitalisierung und gute Kommunikation würden im Widerspruch stehen. Denn wie sollen neue Möglichkeiten der Kommunikation, also zum Beispiel Apps für das Krankheitsmanagement, die Kommunikation zwischen Patienten und ihren Ärzten fördern? Verhindert das ständige Hantieren mit Geräten und Applikationen nicht gerade das gute Gespräch im oft so hektischen Klinik- und Praxisalltag? Die Antwort ist: Das eine muss das andere nicht ausschliessen. Es kommt auf den richtigen Umgang mit den neuen Möglichkeiten an. Gerade im privaten Umfeld stellen wir fest, dass wir durch die flächendeckende Verbreitung von Handys und Computern eher mehr kommunizieren als früher. Alles simultan und immer an die aktuellen Bedürfnisse angepasst. So wird auch im medizinischen Alltag die Digitalisierung noch weiter Einzug halten. Und sie wird wohl eher zu mehr als zu weniger Kommunikation führen.

Von Soft Skills und Toleranz

Wenn also die Kommunikation das vernachlässigte Stiefkind im medizinischen Bereich ist, muss auch darauf geachtet werden, um was für ein Umfeld es sich dabei handelt. Es ist nicht ganz überraschend, dass die Kommunikation in einem eher naturwissenschaftlich geprägten Umfeld wie der Medizin einen schweren Stand hat. Hier geht es um Laborwerte, Röntgenbilder und Wirkstoffe von Medikamenten. Präzision und Rückverfolgbarkeit sind gefragt. Empathie, Einbezug in Entscheidungen und weitere sogenannte Soft Skills kommen hier oftmals immer noch an zweiter Stelle. Doch auch dies hat sich in den letzten Jahren verändert, sodass der Wichtigkeit einer guten Kommunikation eine zunehmende Bedeutung zugemessen wird.

Neben Wissen und Fertigkeit rund um die Kommunikation zwischen Bechterew-Betroffenen und ihren Ärzten braucht es gerade in der heutigen komplexen Welt wohl vor allem eines: Toleranz. Denn Kommunikation ist etwas zutiefst Menschliches und ein wichtiger Teil unserer individuellen Persönlichkeit. Dies gilt – auch wenn es den einen oder anderen überraschen mag – auch für Ärzte. Alle haben wir sicher schon die Erfahrung gemacht, wie schwierig es sein kann, eine introvertierte Person zum Reden oder eine extrovertierte zum Schweigen zu bringen. Es braucht hier also auch ein gewisses Mass an Toleranz.

Verbesserungspotenzial erkannt

Es kommt nicht von ungefähr, dass Projekte wie «Was hab’ ich?», bei denen Ärzte und Medizinstudierende Arztberichte für Patienten «übersetzen», von Anfragen überrannt werden. Und dies ist nicht das einzige Projekt oder Angebot, das den kommunikativen Graben zwischen Patienten und Ärzten überwinden helfen soll. Für Menschen mit Morbus Bechterew gibt es verschiedene Hilfsmittel, um die Kommunikation mit Ärzten und Therapeuten zu verbessern und damit auch den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen: von Checklisten über Online-Tests bis hin zu Übersetzungsdiensten für Arztberichte. Auch Apps könnten in Zukunft dabei helfen, Arztberichte besser zu verstehen (siehe Box).

Trotz all dieser innovativen Projekte sollte eine gute Kommunikation mit Patienten und Kollegen für Ärzte und andere Gesundheitsfachpersonen auch ein wichtiges persönliches Ziel sein. Diese Fertigkeiten sollten im Medizinstudium noch stärker vermittelt werden, findet Dr. med. Daphne Schönegg, die bei «Was hab’ ich?» als ehrenamtliche Übersetzerin tätig ist (siehe Interview auf den Seiten 12 und 13 in der Zeitschrift «vertical» Nr. 86): «Mir würde eine Supervision gefallen, also eine Beobachtung durch einen Experten während einer Sprechstunde mit anschliessendem Feedback. Persönlich fände ich so einen Lehrgang viel effektiver als die Kommunikationskurse im Studium.»

«Man kann nicht nicht kommunizieren.»: So lautet ein berühmtes Sprichwort des Philosophen und Psychoanalytikers Paul Watzlawick. Man «redet» also auch mit seinem Gegenüber, wenn man nichts sagt. Sei es durch die Körpersprache oder manchmal auch durch die Botschaft, dass man sich im Moment nicht mit der betreffenden Person austauschen will. Doch das Faszinierende an der Kommunikation ist, dass sie sich immer irgendeinen Weg sucht, auch wenn sie manchmal völlig blockiert scheint. Und damit auch immer zu einer Verbesserung der Lebensqualität von Bechterew-Betroffenen beiträgt.

Nützliche Kommunikationshelfer

Inzwischen ist der Handlungsbedarf bei der Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten erkannt und es wurden verschiedene Hilfsmittel oder Projekte lanciert, die Abhilfe leisten sollen. Auch die SVMB hat ein paar hilfreiche Werkzeuge zur Verfügung gestellt.

  • Eines der wichtigsten Hilfsmittel für Bechterew-Betroffene, um die Kommunikation mit ihren Ärzten in Angriff zu nehmen, ist wohl der Diagnosetest. Dieser hat schon viele dazu gebracht, ihre Beschwerden genauer abklären zu lassen und so endlich etwas gegen die Schmerzen unternehmen zu können. Der Test ist unter bechterew.ch/diagnosetest zu finden.
  • Auf der SVMB-Website begleiterkrankungen.ch finden Sie neben einem Symptomcheck auch die Vorlage für einen Medikamentenplan. Dadurch haben Sie immer den Überblick und können diese Unterlagen auch als Grundlage für Ihre Arzttermine benutzen.
  • «Was hab’ ich?»: Auf washabich.ch können Sie kostenlos medizinische Berichte von Medizinstudierenden und Ärzten in eine für Laien verständliche Sprache «übersetzen» lassen. Die Nachfrage nach dem innovativen Angebot ist hoch, es kann zu Wartezeiten kommen.
  • Broschüre «Wenn sich zwei verstehen»: Die Broschüre der Rheumaliga Schweiz beleuchtet das Arzt-Patienten-Verhältnis und die Kommunikation in diesem Setting von verschiedenen Seiten, stellt persönliche Beispiele vor und gibt wertvolle Tipps für den nächsten Arzttermin. Erhältlich auf rheumaliga.ch.
  • Buch «Wie behandle ich meinen Arzt?»: Bereits der Titel dieses Buches nimmt auf ironische Weise die oft etwas einseitige Beziehung von Behandler und Behandeltem unter die Lupe. Es will einen Beitrag leisten, die Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten zu verbessern und damit das Vertrauen wiederherzustellen. Erhältlich im Buchhandel.

Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift «vertical» Nr. 86 erschienen.