«Ich sehe mich als Hebamme»

Bemerkenswert bewusst geht Jira Andriamisalalao (26) aus Emmenbrücke LU durch ihren Alltag mit dem Bechterew. Auch wenn sie nicht mehr alles gleich machen kann wie früher, sieht sie unter dem Strich mehr Positives. Auch im Hinblick auf ihre berufliche Zukunft als Hebamme.

21. Juli 2022

«Früher habe ich regelmässig Judo gemacht. Nachdem ich beim Training einmal unglücklich auf den Rücken gefallen bin, musste ich dieses Hobby leider aufgeben. Nachdem die Rückenschmerzen nach zwei oder drei Monaten nicht besser wurden, begannen die Abklärungen. Relativ schnell stand die Diagnose Bechterew fest. Von da an musste ich das Judo durch gezielte Physiotherapie und Medizinische Trainingstherapie (MTT) ersetzen. Heute gehe ich auch selbstständig ins Fitnesscenter, um die erlernten Übungen zu machen. Vom Schulsport wurde ich nach dem Unfall dispensiert und anfangs war ich auch sehr verunsichert, was ich noch machen konnte und was nicht.

Heute kann ich mal mehr, mal weniger machen. Es gibt immer wieder Momente, bei denen ich weniger Zeit für Sport habe. Daher ist für mich die Bewegung im Alltag umso wichtiger. Es ist wie ein Teufelskreis. Doch es ist nicht alles negativ. Durch den Bechterew wurde ich gesundheitsbewusster und achte mehr darauf, wie ich mich bewege und wie ich meinen Alltag gestalte. Als Teenager hatte ich noch mehr Mühe und dachte oft, wenn ich die Krankheit nicht hätte, könnte ich dies oder jenes machen. Inzwischen lebe ich mit dem Bechterew, er gehört zu meinem Leben und Alltag. Der Lernprozess hört aber nie auf.

Von der Biologie zur Geburtshilfe

Nach der Matura habe ich ein Zwischenjahr gemacht, während dem ich unter anderem auf Reisen war. Nach dem Zwischenjahr habe ich mit einem Biologie- und Psychologiestudium angefangen. Mit der Zeit merkte ich, dass ich näher am Menschen sein wollte, und wechselte an die Fachhochschule ins Hebammenstudium. Dieser Beruf hat auch viel mit Biologie und Psychologie zu tun, zum Beispiel bei der Entwicklungspsychologie von Babys.

Nachdem ich diesen Weg gegangen bin, sehe ich mich nun voll im Beruf als Hebamme. Durch Praktika im Gebärsaal und an verschiedenen Arbeitsorten weiss ich, was nach dem Studium auf mich zukommt. Obwohl es auch Unterschiede gibt, je nachdem, ob man in einem grossen Zentrumsspital oder in einem familiären Geburtshaus tätig ist. Die Arbeit als Hebamme ist neben der psychischen Belastung auch körperlich anspruchsvoll, da ist es wichtig, rückenschonend zu arbeiten. Es sind viele kleine Dinge, bei denen ich einen Einfluss auf die Krankheit merke. Daher versuche ich auch auf eine ausgewogene Ernährung zu achten.

Jeden Tag ein Mantra

Ich würde mich als eine religiöse Person bezeichnen – ich bin Buddhistin. Da gehört es zum Beispiel dazu, täglich ein sogenanntes Mantra zu rezitieren. Man geht dabei in sich hinein, fragt sich, wie der eigene Zustand ist, wie man ihn beeinflussen kann und was man auch für andere tun kann. Das hilft schon sehr, auch im Umgang mit dem Bechterew. Seit der Primarschule spiele ich auch Geige in einem Orchester. Bei den Proben und Konzerten muss ich jeweils lange sitzen, weiss dann aber, dass ich in den Pausen aufstehen muss.

So geht es oftmals ohne Medikamente, auch wenn der Rücken bei mir täglich ein Thema ist. An gewissen Tagen geht es dann leider nicht ohne Schmerzmittel. Ich weiss zum Beispiel auch, dass es im Winter mehr solche Tage gibt. Nach zwei bis drei Tagen klingen die Schmerzen bei mir in der Regel dann wieder ab. Durch meine Ausbildung beschäftige ich mich viel mit dem Thema Schwangerschaft und Geburt mit Morbus Bechterew. Ich durfte auch schon eine Schwangere mit Morbus Bechterew betreuen. Die Erfahrungen zeigen ja, dass sich der Kinderwunsch bei Bechterew-Betroffenen oftmals gut erfüllen lässt. Dies gibt mir auch auf persönlicher Ebene Hoffnung.»

Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift «vertical» Nr. 92 erschienen.