Auf Spurensuche bei drei betroffenen Frauen

Jasmine Brunner beschäftigte sich in ihrer Maturitätsarbeit mit einem Teil ihrer Familiengeschichte. Dabei stand der Bechterew im Fokus. Am Ende traf sie sich mit drei unterschiedlichen Frauen, die auf ihrem Weg mit der Krankheit viel Ähnliches, aber auch sehr Unterschiedliches erlebten. (lg)

27. September 2021

Lange Zeit wurde davon ausgegangen, dass fast ausschliesslich Männer vom Morbus Bechterew betroffen seien. Wenn Frauen die typischen Symptome aufwiesen, wurden häufig zahlreiche andere Gründe dafür gefunden. Und so konnte allzu oft während Jahren keine richtige Behandlung erfolgen. Jasmine Brunner hat in ihrer Maturitätsarbeit an der Kantonsschule Zürcher Unterland drei solcher Geschichten aus ihrem näheren Umfeld auf persönliche und einfühlsame Weise festgehalten. Sie hat für ihre Arbeit die Form einer Reportage gewählt. Die Arbeit ist also nicht einfach eine trockene Aufzählung von Tatsachen. Vielmehr nimmt die Maturandin die Leserin, den Leser ihrer Abschlussarbeit mit auf eine kleine Reise – eine Reise in verschiedene Ecken der Schweiz und in eine vom Bechterew geprägte Familiengeschichte. Die so entstandenen Schilderungen kombiniert Jasmine Brunner gekonnt mit Fachwissen über das Krankheitsbild und die Behandlungsmöglichkeiten sowie mit Gedanken und Gefühlen an verschiedenen Stationen dieser Reise. Und sie macht ihren Lern- und Reifungsprozess sichtbar, was zu einer Maturitätsarbeit auf jeden Fall dazugehört. Schliesslich bedeutet Maturität nichts anderes als Reifeprüfung. So ist ein beeindruckendes Zeugnis darüber entstanden, wie der Bechterew als oftmals unsichtbarer Begleiter Betroffene und ihre Familien über Generationen hinweg prägt.

Bluttest und Besuch bei der Tante

Eine erste Station auf der von Jasmine Brunner geschilderten Reise handelt von etwas eigentlich ganz Banalem, nämlich einer Blutentnahme beim Arzt. Denn Jasmine Brunner soll auf den bei Bechterew-Betroffenen überdurchschnittlich häufig vorkommenden Erbfaktor HLA-B27 getestet werden. Sie beschreibt ihre Nervosität vor der Blutentnahme, auf die eine überraschende Gelassenheit während des Abwartens des Resultats folgt. Das Resultat erfährt die Leserin, der Leser erst am Schluss der Arbeit.

Die zweite Station ist eine tatsächliche Reise der Maturandin zu ihrer Tante, von der in der Familie bekannt ist, dass sie vom Morbus Bechterew betroffen ist. Dazu fuhr Jasmine Brunner vom Zürcher Unterland in eine Kleinstadt in der Nähe von Bern. Sie hatte Fragen vorbereitet. Wiederum beschreibt sie eine gewisse Nervosität vor dem Gespräch mit ihrer Tante, obwohl sie diese gut kenne und sich auf das Gespräch vorbereitet habe.

Die Erzählung über das Gespräch mit ihrer Tante liest sich ein bisschen wie das Drehbuch der typischen Geschichte von so vielen Frauen, die vom Bechterew betroffen sind. Ihre Rückenschmerzen wurden zuerst auf ihre Arbeit als Charcuterie-Verkäuferin und dann auf ihren grossen Busen zurückgeführt. Auf eine entzündlichrheumatische Erkrankung als Ursache kam man lange nicht und so musste die Tante von Jasmine Brunner über 20 Jahre auf ihre Diagnose warten.

Bechterew ist überall

Über ihre Tante konnte Jasmine Brunner dann auch noch mit einer weiteren Betroffenen ein Gespräch führen. Deren Geschichte war zwar derjenigen ihrer Tante in gewissen Punkten ähnlich, zeigte aber auch ganz eigene Merkmale auf. Auch bei ihr herrschte anfangs Unklarheit und es waren mehrere Arztbesuche nötig, um endlich zur richtigen Diagnose zu kommen. Doch der Prozess dauerte deutlich weniger lange als bei Jasmine Brunners Tante.

Über ihre Mutter erfuhr Jasmine Brunner dann noch, dass auch ihre Musiklehrerin vom Bechterew betroffen sei. Da bot es sich an, auch mit ihr noch ein Gespräch zu führen. Bei ihr lag die Diagnose erst kurze Zeit zurück, doch die Schmerzen begleiteten sie schon über viele Jahre. Und auch bei ihr wurden von der Schwangerschaft bis hin zu Fehlbelastungen ganz unterschiedliche Erklärungen für die Beschwerden herangezogen. Als der wahre Grund dann endlich feststand, musste leider auch festgestellt werden, dass die Gelenke aufgrund der jahrelang unentdeckten Krankheit bereits grossen Schaden genommen hatten. So bedauerlich dieser Fall ist, so zeigt er doch auch, dass die Betroffenen überall sein können und wie im Fall der Musiklehrerin trotz eines ausgesprochen positiven Wesens eine chronische Krankheit nie ausgeschlossen werden kann.

Durch ihre Maturitätsarbeit lernte Jasmine Brunner nicht nur drei verschiedene Geschichten von Frauen mit Morbus Bechterew in ihrem Umfeld kennen, sondern sie konnte auch aufzeigen, dass die Krankheit nicht nur die Betroffenen selbst etwas angeht, sondern immer ein Umfeld mitbetrifft. Und dass es hilft, wenn sich die betroffenen Familien- und Freundeskreise offen mit dem Thema auseinandersetzen, wie dies im Zusammenhang mit Jasmine Brunners Maturitätsarbeit auf vorbildliche Weise geschehen ist. Und schliesslich zeigt die Reportage von Jasmine Brunner auch, dass der Morbus Bechterew auch ein Impuls für einen kreativen Prozess und für eine beeindruckende und berührende Erzählung sein kann. Ganz im Sinn von: Reden (und erzählen) hilft – auch beim Umgang mit dem Bechterew.

Der Bluttest von Jasmine Brunner zeigte übrigens, dass sie nicht über den Erbfaktor HLA-B27 verfügt. Da sich der Bechterew dadurch aber nicht ganz ausschliessen lässt, ist Jasmine Brunner froh, dass man in ihrer Familie die Symptome kennt und wenn nötig rasch reagieren könnte. Und damit verbindet sie die Hoffnung, dass in ihrer Familie niemand mehr eine so grosse Unsicherheit wird durchleben müssen wie die «Hauptfiguren» ihrer Maturitätsarbeit.

Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift «vertical» Nr. 89 / August 2021 erschienen.